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Die Abschaffung eines wirksamen Gesetzes?

Verantwortlicher Autor: Universität Bonn Bonn, 19.07.2019, 16:41 Uhr
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Bonn [ENA] Die Abschaffung eines wirksamen Gesetzes? Forscherteam untersucht, wie effektiv Verkaufsverbote für alkoholische Getränke sein können. Fördert die ständige Verfügbarkeit von Alkohol Gewalttaten? Ja – sagt ein Team von Wissenschaftlern der Universitäten Bonn, Lüneburg, Marburg, der Technischen Universität München sowie der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl. In einer aktuellen Studie

untersuchen sie die Auswirkungen eines nächtlichen Alkoholverkaufsverbots in Baden-Württemberg, das von 2010 bis 2017 in Kraft war. Die Ergebnisse präsentiert das Forscherteam im International Review of Law & Economics. Die Landesregierung von Baden-Württemberg hat im Jahr 2010 ein Gesetz eingeführt, das den nächtlichen Verkauf alkoholischer Getränke stark einschränkte. Ende 2017 wurde das Gesetz wieder abgeschafft. „Eine Entscheidung, die durchaus in Frage zu stellen ist. Beim Blick auf die Ergebnisse unserer Studie lässt sich feststellen, dass das Gesetz die gewünschten Effekte zeigte“, sagt Prof. Dr. Tim Friehe vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Philipps-Universität Marburg,

der die Studie gemeinsam mit Prof. Dr. Florian Baumann von der Universität Bonn, Prof. Dr. Achim Buchwald von der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung Brühl, Prof. Dr. Hanna Hottenrott von der Technischen Universität München und Prof. Dr. Mario Mechtel von der Universität Lüneburg durchführte. Das Verkaufsverbot in Baden-Württemberg untersagte den Verkauf alkoholischer Getränke in Tankstellen, Supermärkten und Kiosken zwischen 22 und 5 Uhr. Die Landesregierung wollte damit nächtliche Alkoholexzesse an öffentlichen Orten sowie gewalttätige Straftaten eindämmen. Eine 2013 vom Landtag in Auftrag gegebene Evaluation des Gesetzes bewertete es verhalten positiv mit Blick auf die Entwicklung der Zahl von Polizeieinsätzen

an Tankstellen und verschiedene Deliktarten. „Allerdings vergleicht die Evaluation lediglich die Entwicklung der abendlichen und nächtlichen Fallzahlen in den Jahren vor und nach Einführung des Gesetzes. So bleibt unklar, wie sich diese Zahlen ohne ein Verkaufsverbot entwickelt hätten“, sagt Friehe. Ein Anstieg der Fallzahlen nach Einführung des Verkaufsverbots wäre nicht zwingend mit der Wirkungslosigkeit des Verbots gleichzusetzen – vielleicht wären die Zahlen ohne Verbot noch höher gewesen. Zur Evaluation des Gesetzes bedürfe es also einer Kontrollgruppe. „Hier konnten wir ausnutzen, dass das Gesetz nur in einem Bundesland erlassen wurde“, beschreibt Baumann, der selbst in dieser Zeit beruflich von Baden-Württemberg nach

Nordrhein-Westfalen wechselte. Einerseits vergleichen die Autoren die Entwicklung der Deliktzahlen in Baden-Württemberg in den Verbotszeiten (22 bis 5 Uhr) mit den Deliktzahlen der Nicht-Verbotszeiten (5 bis 22 Uhr) in den Jahren vor und nach Einführung des Verbots. Auf diese Weise lässt sich ein etwaiger genereller Trend zu mehr oder weniger Straftaten herausrechnen, der unabhängig vom nächtlichen Verkaufsverbot sein könnte. Zweitens vergleicht die Studie die Entwicklung in Baden-Württemberg mit dem Nachbarland Hessen, in dem kein vergleichbares Verbot eingeführt wurde. Das Team verwendet dabei Kriminalitätsdaten auf Landkreisebene, die von den jeweiligen Landeskriminalämtern bereitgestellt wurden.

„Hessen grenzt direkt an Baden-Württemberg und ist aufgrund vieler Faktoren besser vergleichbar als beispielsweise nördliche und östliche Bundesländer. Die hessischen Landkreise sind daher eine geeignete Kontrollgruppe“, sagt Friehe. Der Vergleich der Entwicklung in Baden-Württemberg zu nächtlicher Stunde mit den Fallzahlen bei Tag sowie mit Hessen ermögliche eine kausale Identifikation der Effekte des Verkaufsverbots, die weit über die Evaluation der Landesregierung hinausgehe. Dabei fokussiert sich die Studie auf Delikte, die häufig aus dem Affekt entstehen: leichte und schwere Körperverletzung, Raub und Sexualstraftaten. Diese Deliktarten dürften eher durch ein Alkoholverkaufsverbot beeinflusst werden als Straftaten wie

Computerkriminalität oder Erpressung. „Die Auswertung dieser Faktoren zeigt: Die Fälle leichter und schwerer Körperverletzung in Folge des Alkoholverkaufsverbots gingen um bis zu elf Prozent zurück“, so die Autoren. „Und das bei einem vergleichsweise geringen politischen Eingriff – denn Alkohol war zu nächtlicher Stunde in Restaurants und Kneipen weiterhin erhältlich.“

Vor diesem Hintergrund sei die Abschaffung des Gesetzes eine durchaus bemerkenswerte Entscheidung, resümiert das Forscherteam. Publikation: Florian Baumann, Achim Buchwald, Tim Friehe, Hanna Hottenrott und Mario Mechtel. The effect of a ban on late-night off-premise alcohol sales on violent crime: Evidence from Germany. International Review of Law & Economics. https://doi.org/10.1016/j.irle.2019.105850

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